Ich liebe Satire, schaue gerne die heute show und schätze Oliver Welke als Sportreporter und Komiker. Doch sollte qualitativ anspruchsvolle Satire nicht zumindest den Anspruch haben, fachlich fundiert zu argumentieren? Oder steht destruktives Argumentieren in Verbindung mit fehlender fachlicher Expertise mittlerweile im Vordergrund? Darf man nicht zumindest ein Grundverständnis an Finanzmathematik und Kapitalmarktkenntnis erwarten, wenn man sich schon zu einem derart anspruchsvollen Thema äußert?
In der heute show am 21.5.2021 wurde nach 20 Jahren die Riesterrente zu Grabe getragen – sie sei zu teuer („jeder vierte Euro fließt in Kosten“) und völlig unrentabel. Ein totes Pferd solle man nicht mehr reiten. An den Pranger gestellt wird im Übrigen ausschließlich die Versicherungsbranche. Als möglicher sinnvoller Lösungsweg wird der staatliche AP7-Fonds aus Schweden erwähnt. Oh je – wo soll ich nur anfangen, ohne mir beim verzweifelten Kopfschütteln einen Bandscheibenvorfall zu holen….
Die Riesterrente hat hohe Kosten
Nein. Angemessene. Richtig ist: die Riesterrente hat tatsächlich höhere Verwaltungskosten als Altersvorsorgelösungen ohne staatliche Förderungen. Warum ist das so? Nun – der Förderprozess ist recht aufwändig! Neben der steuerlichen Förderung der eingezahlten Beiträge (Abwicklung über das Finanzamt im Rahmen der Steuererklärung) müssen von den Anbietern bei der zentralen Zulagenstelle für Altersvermögen für jeden Riestervertrag jedes Jahr die staatlichen Zulagen (Grundzulagen und Kinderzulagen) beantragt werden. Bis die Zulagen im Vertrag gutgeschrieben sind, vergehen gerne mal 8-12 Monate. Nicht selten kommt es zu Rückforderungen, weil z.B. die Kindererziehungszeiten bei der Dt. Rentenversicherung nicht eingemeldet worden sind. Dies ist Verwaltungsaufwand, der Kosten verursacht. Korrekt ist, dass es insbesondere in den Anfangszeiten der Riesterrente Verträge mit exorbitant hohen Kosten in Höhe von nicht selten 20% der jährlichen Einzahlungen gab. Die Gelder im Vertragsguthaben aber erwirtschaften dann über lange Zeit (für den Mandanten steuerfrei und kostenarm) Erträge. Diese hohen Kostensätze gehören jedoch schon lange der Vergangenheit an. In guten Riesterpolicen sind die Effektivkostenquoten heute auf einem normalen und angemessenen Niveau. Ein konstruktiver Verbesserungvorschlag wäre, dass die Riesterförderung vollständig über die Finanzämter abgewickelt wird. Dies würde Vieles vereinfachen und die Kosten noch weiter reduzieren.
Die Riesterrente lohnt sich nicht
Wie bei allen Altersvorsorgelösungen muss immer im Einzelfall geprüft werden, ob eine Riesterrente ein sinvoller Baustein des individuellen Altersvorsorgekonzeptes ist oder nicht. Wir betreuen bei A.S.I. gehobene Privatkunden und Akademiker, die in der Regel mit ihren Einkünften kontinuierlich im Spitzensteuersatz liegen. Darüber hinaus haben Viele aus unserer Mandantschaft ein oder mehrere Kinder. Daher möchte ich zwei konkrete Beispiele aus meiner eigenen Mandantschaft darstellen – bewerte dann gerne selbst, ob diese Förderung attraktiv ist oder nicht.
Beispiel 1 – Unternehmensberater 30 Jahre alt, Jahresbruttoeinkommen 110.000 €, Steuerklasse I, Kirchensteuer
Jahresbeitrag zur Riesterrente: 1.946 € + Grundzulage 175 € = 2.100 € fließen in die Riesterrente.
Steuerrückerstattung: 835 €
Effektiver Eigenbeitrag: 1.090 €
Förderquote: 48%. Bedeutet übersetzt: 48% des Beitrages übernimmt der Staat. Oder anders ausgedrückt: für jeden Euro, den er einzahlt, bekommt er 92 Cent vom Staat dazu! Dies sind bis zum Ruhestandsbeginn immerhin 37.420 €. Davon sind 30.945 € Steuerrückerstattungen, die im Übrigen zusätzlich angelegt werden könnten.
Beispiel 2 – Familie mit 3 Kindern, Familieneinkommen 120.000 €, Steuerklasse 4
Jahresbeitrag der Ehefrau: 525 € + Grundzulage 175 € + Kinderzulagen 900 € = 1.600 € fließen in die Riesterrente
Steuerrückerstattung: gering bis keine
Effektiver Eigenbeitrag: 525 €
Förderquote (bis zum Ende des Kindergeldbezuges): 69%. Bedeutet übersetzt: 69% des Beitrages übernimmt der Staat. Oder wieder anders ausgedrückt: für jeden Euro den die Frau einzahlt, erhält Sie 2,05 € dazu geschenkt.
Meiner Einschätzung nach zeigen die vorgenannten Beispiele, dass die Riesterrente bzw. ihre Förderung attraktiv sein kann. Losgelöst von den Eigenschaften der Kapitalanlage im Hintergrund. Ob der heute show diese Zahlen so bewusst sind? Die Aussagen im Beitrag lassen nicht darauf schließen…
Die Garantien bei der Riesterrente sind schlecht und sollen nun auch noch abgesenkt werden – eine Frechheit?
Hier wird es in der heute show nun ganz kurios und fachlich einfach nur erschreckend. Fakt ist: wir haben eine historische Niedrigzinsphase, die sich mit hoher Wahrscheinlichkeit auch dauerhaft „etablieren“ wird. Letztlich ist diese EU-gewollt, um der enormen Staatsverschuldung durch gleichzeitiges Anschieben der Inflation entgegenzuwirken. Was hat das nun mit den Garantien bei der Riesterrente zu tun? Nun: Je höher die Garantie ist (und hier wird nun mal vom Gesetzgeber gefordert, dass zum Rentenbeginn auf jeden Fall 100% der eingezahlten Beiträge zur Verfügung stehen MÜSSEN), desto weniger Freiraum bleibt für eine freie (rentablere) Anlage in z.B. freien Investmentfonds, ETFs usw.
Berücksichtigt man also diese Zusammenhänge, muss klar werden, dass diese hohen Garantien in der heutigen Situation kontraproduktiv wirken, wenn das Ziel sein soll, dass der Riester-Rentner eine möglichst hohe Rente erhalten soll. Es wäre also absolut wünschenswert, dem Anleger/Versicherungsnehmer die Entscheidung zu überlassen, ob er tatsächlich 100% Garantie haben möchte oder eine niedrigere Garantie zugunsten einer besseren Renditechance vorzieht. Von Herrn Welke hingegen wird die Forderung nach einer Absenkung der Garantie als Frechheit verunglimpft, um gleichzeitig eine ähnliche Lösung wie in Schweden vorzuschlagen. Diese beinhaltet im übrigen keine bis niedrige Garantien! Oh je – da hat aber jemand die Zusammenhänge überhaupt nicht verstanden.
Darüber hinaus: bitte niemals vergessen, dass es sich bei einer Riesterrente NICHT um eine Geldanlage handelt. Es handelt sich um eine Versicherung, die Dein Langlebigkeitsrisiko versichert. Du kaufst Dir also einen heute schon planbaren, lebenslangen Zufluss ein – vorausgesetzt Du entscheidest Dich für eine Versicherungslösung. Bitte lies dazu auch den nächsten Absatz.
Die schlimmen Versicherungen
Auch hier wird es leider plakativ (was ja mit eine Aufgabe der Satire ist, ok!) aber eben auch äußerst fragwürdig. Zusammen mit den Verbraucherzentralen (Ja genau, das sind die, die schon Briefmarken und Bundesanleihen für die Altersvorsorge empfohlen haben und deren betriebliche Altersvorsorge wegen eigener Fehlkalkulation zusammengebrochen ist) wird hier gegen die Versicherungen als Riesteranbieter Stimmung gemacht. Auch Bausparkassen, Banken und Fondsgesellschaften bieten geförderte Riesterlösungen an – jedoch sind diese tatsächlich nicht sinnvoll. Die Gründe hierfür sind vielfältig und würden an dieser Stelle den Rahmen sprengen. Zwei Aspekte sind jedoch wichtig zu wissen: schließt man einen Riestervertrag bei einem der drei genannten Anbieter ab, erfolgt die Verrrentung zum 67. Lebensjahr mittels eines Auszahlplans bis zum 85. Lebensjahr. Mit einem Teil des Kapitals wird im Hintergrund eine Rentenversicherung abgeschlossen, die dann ab dem 85. Lebensjahr die Zahlungen fortführt. Schwachpunkt: die Kalkulation der monatlichen Auszahlung wird erst zu Deinem Rentenbeginn vorgenommen – eine Berechnung ist vorher nicht möglich. Oder zur Verdeutlichung umgekehrt: bei einer Versicherungslösung hast Du den Vorteil, dass von Beginn an Rentenfaktoren vertraglich zugesichert sind – bei den anderen Vertragskonstellationen ist dies nicht der Fall.
Fazit und Aufruf
Lieber Oliver Welke, liebes heute-show-Team – Satire und Kritik gerne, aber bitte nicht auf diesem fachlich fragwürdigen Niveau. Das kann doch nicht der Qualitätsanspruch des zweiten deutschen Fernsehens sein, oder? Diese undifferenzierten Aussagen verunsichern die Menschen nur zusätzlich und führt schlimmstenfalls sogar zu falschen Einschätzungen oder sogar Fehlentscheidungen. Auch wenn die heute show für diese Konsequenzen nicht haftet, so trägt sie doch eine Verantwortungen für die Konsequenzen der getroffenen Aussagen.
JA – es gibt Verbesserungs- bzw. Nachbesserungsbedarf bei vielen Dingen. Auch bei der Riesterrente. Und es wäre wünschenswert, dass man dies angeht. Kooperativ, sachlich und unter Einbindung von Experten, die wirklich etwas von der Materie verstehen. Damit meine ich nicht zwangsweise Politiker oder Komiker.
In diesem Sinne wünsche ich gute Entscheidungen, was die Altersvorsorgeplanung und deren Ausrichtung angeht. Freue mich natürlich sehr über konstruktives Feedback und über Fragen zu den obigen Ausführungen! Herrn Welke, der heute show und dem ZDF stehe ich für fachlichen Input gerne zur Verfügung.
Wenn Du mehr zum Thema Altersvorsorgeplanung erfahren möchtest, trag Dich doch hier in unseren Newsletter ein und erhalten kostenfrei unser E-Book „Die 10 größten Fehler bei der Altersvorsorge“.